Umgelenkt: Großer Lichtschalter für Regie und Studio
Fünf AURUS-Regien, sechs Studios und ein immer wieder anderer NEXUS-Verbund
Große Gesamtnetzwerke waren gestern — heutige Ansätze verfolgen neue Wege, etwa wie sich eine campusweite NEXUS- und AURUS-Installation in immer wieder andere Sub-Netze oder Inseln aufspalten lässt. Am liebsten automatisch, mit vollständiger Delegation aller beteiligten Parameter und möglichst nur einer Glasfaser-Umschaltung. Nein, idealerweise nicht einmal mehr per Schaltung, sondern rein optisch durch Lichtumlenkung über Prismen, wie beim großen Big-Switch-Projekt in Zürich
Die Vision einer durchgängigen Produktionslandschaft in High-Definition-Bildtechnik, kombiniert mit 5.1-Tonproduktion, ist in der heutigen TV-Welt keineswegs mehr außergewöhnlich. Die technische Umsetzung spielt allerdings, wie man das von der tv productioncenter zürich ag, kurz tpc, inzwischen schon gewohnt ist, mit ganz neuen Ideen und modernster Technik. tpc setzt sich mit diesem Umbau auch ein ganz neues Ziel, nämlich die Harmonisierung der Technik im Haus bis ins kleinste Detail. Die Idee, die dahinter steckt, hat sich im Umgang mit der Digitaltechnik in den letzten Jahrzehnten langsam entwickelt: Jedes TV-Produktionsstudio sowie jede TV-Tonregie soll in technischer Hinsicht exakt identisch sein und damit jede beliebige Kombination von Studio und Regie per Knopfdruck ermöglichen. Dieses Vorhaben ist nicht nur technisch anspruchsvoll, sondern wird sich auch über einen recht langen Zeitraum hinziehen, da es umfassend in die bereits vorhandene Infrastruktur eingreift. Das dreistufige Umbaukonzept soll planmäßig bis 2012 laufen; die erste Phase ist soeben abgeschlossen.
Automatisierte Prismen
Trotz der erhöhten Flexibilität, die ein Zusammenschalten jeder Regie mit nahezu jedem Studio erlaubt, soll im Ton so wenig Konfigurations- und Einrichtungsaufwand wie möglich notwendig sein. Das bedeutet, dass alle beteiligten Signal-Routings, Steuerungen und Logikschaltungen beim Umschalten einer Regie auf ein Studio automatisch mit umziehen sollen. Das kann nur funktionieren, wenn die Schnittstellen zwischen Studio und Regie bis ins kleinste Detail definiert und standardisiert sind, und wenn in jeder Regie die identischen Mischpultkonfigurationen, für jeden Sendetyp ausgearbeitet, vorhanden sind. Liegt genau fest, auf welcher Glasfaser — tpc setzt bei der Verkabelung von Raum zu Raum nahezu ausschließlich auf Glasfaser, häufig kombiniert mit CWDM-Technologie — welches Signal zum Beispiel von einem Studio zu einer Regie übertragen wird, dann lässt sich diese Glasfaser theoretisch einfach auf eine andere, technisch identische Regie umstecken. Die beteiligten Systeme bleiben von dieser Umstellung unberührt, und der Anwender kann direkt in seine Arbeit einsteigen, ohne sich vorab um grundsätzliche Infrastruktur-Einstellungen kümmern zu müssen. An dieser Stelle geht tpc einen Schritt weiter. Statt eine Regie manuell auf ein Studio zu stecken, erfolgt die Umschaltung nun über einen passiven optischen Umschalter. Die Entscheidung fiel zugunsten eines optischen Routers des Herstellers Polatis, der 16 ankommende Dark-Fiber-Leitungen über schaltbare Prismen auf 16 abgehende Leitungen routen kann. Diese Komponente muss mit einer beeindruckenden mechanischen Präzision arbeiten, denn die interne Umschaltung von einer ankommenden auf eine abgehende Leitung erfolgt über Prismen, die entsprechend gekippt werden müssen, um das Lichtsignal wie gewünscht umzuleiten. Da dieser optische Router ausschließlich nach dem Prinzip der Lichtablenkung funktioniert und das anliegende Signal nicht interpretiert, verhält er sich für die angeschlossenen Systeme absolut transparent. Es ist also vollkommen unerheblich, ob das geschaltete optische Signal eine NEXUS-Netzwerkverbindung, eine MADI-Übertragung oder vielleicht sogar ein Videosignal ist. Im Vergleich mit dem STAGETEC OMUX, der eine Wandlung des optischen Signals auf ein elektrisches vornimmt, dieses verteilt und anschließend wieder auf ein optisches Signal umsetzt, bietet der rein optische Router für tpc im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen auch eine größere Variabilität. Seinem Verdienst, tatsächlich alle relevanten, audionahen Signale umzuschalten, verdankt der optische Switch die hausinterne Bezeichnung Big Switch.
Viel Detailarbeit
Die Schwierigkeit liegt bei diesem Projekt aber nicht in der Schaltung der optischen Leitungen, sondern in der Festlegung und Abstimmung der Feinkonfiguration. Da sämtliche im weitesten Sinne zum Ton gehörenden Signale über die Glasfaser und den Big Switch laufen, müssen sie daher in allen beteiligten Regien, Studio-Anschlussboxen, Ü-Wagen und mobilen NEXUS-Einheiten harmonisiert werden. Aus diesem Grund wird festgelegt, welches Intercom-Funksignal auf welchem Basisgerät und welchem Stecker eingespeist und wo es auf welchem Ausgang wieder ausgegeben und dann auf die Funkstrecke gesendet wird. Auch die Belegung der XRI-Karten, die Logikprogrammierung etwa für Rotlicht, die klassische Intercom und so weiter — all dies muss in den beteiligten Studios identisch programmiert sein, damit die Umschaltung und Delegation klappt. Zusätzlich zu den festen Regien im Haus ist noch eine Erweiterung vorgesehen: Bei Spitzenbelastungen soll ein Ü-Wagen sozusagen als weitere, externe Regie fungieren und eine Studioproduktion fahren. tpc wird nämlich in der endgültigen Ausbaustufe mit lediglich noch vier Regien, aber sechs Studios ausgestattet sein, so dass eine fünfte Regie in Form einen Ü-Wagens eine willkommene Ergänzung darstellt. Im Klartext heißt das aber auch, dass alle Ü-Wagen auf das Konzept des Big Switch und seiner Nummerierung und Konfiguration der Basisgeräte abgestimmt werden müssen — und zwar bis ins kleinste Detail der Rotlichtsteuerung, also inklusive aller Logikprogrammierungen. Die zwei bereits vorhandenen HD-Ü-Wagen sind inzwischen entsprechend angepasst worden, bei den neu zu liefernden Wagen werden selbstverständlich von vorneherein die zum Big-Switch-Konzept passenden Konfigurationen eingeplant.
Immer wieder Basisgerät 11
Konkret sieht die Harmonisierung so aus: In jedem Studio steht ein exakt gleich konfiguriertes, großes Basisgerät mit drei Ebenen, das so genannte Basisgerät mit der Nummer 11, zur Verfügung. Es dient als Schaltzentrale, denn über seine Einschubkarten laufen sämtliche tonrelevanten Signale zwischen Regie und Studio. Schaltet man nun eine Regie auf ein beliebiges Studio, so erwartet das NEXUS-Netzwerk der Regie genau dieses eine Basisgerät 11, das quasi als Verlängerung ins Studio fungiert. Auf diese Weise »bemerkt« das NEXUS der Regie überhaupt nicht, dass eine Umschaltung von einem Studio auf das andere vorgenommen wurde — sie sind ja alle identisch. Da es überzogen wäre, tatsächlich jedes Studio, eher gesagt, dessen Basisgerät, auch voll zu bestücken, ist nur im großen Studio 1 die maximale Ausstattung vorgesehen. Die übrigen Studio-Basisgeräte führen lediglich die grundsätzlich notwendigen Karten. Was die Konfiguration betrifft, sind sie allerdings schon für eine maximale Bestückung ausgelegt. Für die Praxis bedeutet dies, dass man bei Bedarf einfach zusätzliche Karten in das Basisgerät hineinschieben kann, ohne anschließend eine neue Konfiguration installieren zu müssen. tpc verfügt als Langzeitnutzer von NEXUS inzwischen über einen großen Pool an Karten und kann diese Ressourcen durch diesen Kunstgriff nun noch effektiver nutzen. Zusätzlich zum Basisgerät 11 lassen sich bis zu vier weitere, mobile Basisgeräte an eine Regie anschließen. Sie werden beispielsweise im Studio als Stage-Box zur Einspeisung der Mikrofonsignale einer Band verwendet oder dienen schlichtweg der Erweiterung der möglichen Eingangskanäle. Schon seit Jahren kann tpc in der Ü-Technik auf einen Pool aus transportablen Basisgeräten zurückgreifen. Sie sind ebenfalls alle identisch bestückt und verfügen als Besonderheit über einen kleinen, eingebauten Drehschalter. Über diesen lässt sich die logische Nummer des Basisgeräts in einem Bereich von Nummer 15 bis Nummer 18 manuell einstellen. Diese Grundidee fand jetzt auch in die Studios und Regien Eingang, so dass letztendlich jedes mobile Basisgerät der tpc an jeder Regie und jedem Ü-Wagen betrieben werden kann.
Noch mehr Flexibilität
Zu einer vollständigen Harmonisierung gehört aber noch mehr, als nur uniforme NEXUS-Netzwerke aufzubauen. Auch die Mischpulte müssen identisch sein, kurz, die gesamte Konfiguration innerhalb der Regie sollte standardisiert werden. Nur so ist es möglich, beispielsweise ohne zusätzliche händische Eingriffe mitten in einer Produktion die Regie zu wechseln. Genau dies war eine der Vorgaben: Durch die Flexibilität eine optimale Situation für die Raumdisposition und für eventuelle Havariefälle zu schaffen. Um dies zu erreichen, werden sämtliche AURUS-Projekte nicht nur lokal in dem betreffenden Mischpult gespeichert, sondern zusätzlich in einem zentralen Server abgelegt. Bei einem Umzug einer Produktion von einer Regie in die andere kann man das entsprechende Projekt vom zentralen Server ins AURUS der neuen Regie einladen und zieht damit sämtliche Einstellungen mit um. Über die im AURUS-Programm implementierte Funktion »Save NEXUS« lässt sich bei der Projektspeicherung auch eine Momentaufnahme des NEXUS-Routings mit speichern.
Intelligent gesteuert
Sobald der technische Umbau und die Harmonisierung bewerkstelligt sind, wird sich die Bedienung für die Ton-Crew deutlich vereinfachen. Der optische Glasfaser-Umschalter benötigt dabei nicht einmal eine manuelle Bedienung, sondern ist in die übergeordnete Steuerung der Produktionskomplexe, den KSC-Manager von BFE, eingebunden. Bei Arbeitsbeginn in der Regie legt der Mitarbeiter zunächst fest, mit welchem Studio er zusammenarbeiten möchte. Dazu muss er lediglich an der Bedieneinheit des KSC-Managers, die in seiner Regie installiert ist, zwei Tasten drücken, beispielsweise die Taste Studio 1 sowie die Wirk-Taste, die die Verkoppelung auslöst. Daraufhin steuert der KSC-Manager den Polatis-Router so, dass die dazugehörigen Glasfaserverbindungen — Audio, Tally, Intercom und was sonst noch an Signalen zu einer Tonregie gehört — optisch zusammengeschaltet werden. Die Steuerung sorgt auch dafür, das eine einmal hergestellte Verbindung zwischen Regie und Studio verriegelt ist, also nicht aus einer anderen Regie unterbrochen werden kann, und das so lange, bis sie aus der entsprechenden Regie über den KSC-Manager wieder freigegeben wird.
Jede Regie und jeder Ü-Wagen wird am Ende der letzten Projektphase, voraussichtlich in 2012, über den Big Switch auf jedes Studio schaltbar sein. Die einzige Ausnahme bildet das rein als Sportstudio genutzte Studio 6, das nur sinnvoll von der Sportregie 6 mit zusätzlichen Live-Slowmotions, Effekten und Zuspielern betrieben werden kann. BD= Base Devise/Basisgerät
Big Switch im Einsatz
Sobald die Regie 2, eine alte Regie, ausgestattet mit einem NEXUS der Matrix-4-Generation, CANTUS im Tonteil und mit SD-Bildtechnik, Ende des Jahres 2010 auf AURUS und HD umgestellt ist, wird der Big Switch mit zwei Studios und zwei Regien in den ersten, noch kleinen Regelbetrieb gehen. Der Big Switch selbst ist schon installiert und wird bis zum Jahresende in allen Details durchgeprüft werden. Bevor er allerdings seinen großen Tag hat, wird bei tpc eine andere Premiere gefeiert: Am 20. März 2010 wird als erste Produktion aus der eben fertiggestellten Regie 3 eine der größten Live-Shows des Schweizer Fernsehens gefahren, eine Mischung aus Show mit inter nationalen Sängern, Kabarettisten, Musikern und Variété-Künstlern und einer Millionen-Lotterie, moderiert vom Schweizer TV-Altmeister Beni Thurnheer. Wie könnte ein Teilprojekt des Big Switchs denn auch mit einem kleineren Auftritt debütieren! Und selbst der Name der Sendung fügt sich bestens ins Gesamtbild ein: Sie heißt schlicht Benissimo.
Die Projektphasen
Das Gesamtkonzept dieses Projekts umfasst sämtliche Audio- und Videoproduktionsplätze sowohl im Haupthaus in Zürich als auch in allen Übertragungswagen von tpc. Ein ansehnliches Unterfangen, denn dazu müssen nicht nur sämtliche SD-Bildkomponenten durch HD-Technik ersetzt werden, sondern es steht auch ein umfassender Umbau der gesamten digitalen Tonproduktionsmittel an. tpc hatte schon sehr früh mit der Digitalisierung und Glasfaservernetzung begonnen, und Teile dieser inzwischen fast bis zu 15 Jahre alten Komponenten sollen in diesem Projekt an die gestiegenen Anforderungen angepasst, modernisiert oder ersetzt werden. Ganz besonders wichtig ist dabei der Umstieg der Tontechnik von NEXUS-Audioroutern der alten Matrix-4-Generation auf die heutige Matrix-5-Version, und damit einhergehend der Ersatz der alten CANTUS-Konsolen durch das moderne Großmischpult AURUS. Aufgrund seines großen Umfangs wurde das Big-Switch-Projekt in mehrere Phasen aufgeteilt, bei denen die anfangs sechs Regien und sieben Studios Stück für Stück umgebaut, teilweise aber auch umgenutzt und schließlich zu vier modernisierten Regien, sechs Studios und einem Anschluss für einen HD-Ü-Wagen als zusätzliche Produktionsregie zusammengefasst werden.