Im Dienste der Musik
Berliner Philharmonie mit eindrucksvoller AURUS-Installation
Jedem Berliner mit Sinn für Kultur dürfte die Adresse »Herbert-von-Karajan-Straße 1« im Bezirk Tiergarten ein Begriff sein – gehört die Philharmonie doch zu den besten Konzertsälen der Welt. Zudem beheimatet sie die ebenso angesehenen Berliner Philharmoniker, die schon von Dirigenten-Legenden wie Furtwängler, Karajan, Abbado oder Simon Rattle geleitet wurden. Hier darf auch in der Technik nur mitspielen, wer zur Oberliga gehört. Wie zum Beispiel das AURUS im neu aufgebauten Studio 3
Das prominente Haus verfügt über mehrere Tonregien, von denen das erst 1992 in Betrieb genommene Studio 3 heute die wichtigste Rolle spielt. Hier werden die Konzerte der Berliner Philharmoniker und viele weitere Veranstaltungen im großen Saal mitgeschnitten. Neben direkt gemischten Stereoaufnahmen wird dort auch in Mehrspurtechnik gearbeitet, um beispielsweise später Surround-Mischungen anfertigen zu können. Darüber hinaus steht die Regie auch für mehrtägige CD-Produktionen des Orchesters sowie als Mietstudio für Rundfunk und Tonträger-Industrie zur Verfügung.
Umbau mit Zeitnot
Für das Jahr 2006 stand nach fast 15 Jahren Betriebszeit eine umfassende Erneuerung des Studios auf dem Plan, wobei auch eine moderne digitale Lösung das in die Jahre gekommene Analogmischpult ersetzen sollte. Angesichts des klangvollen Namens dieses Hauses und des Orchesters waren die Qualitätsansprüche an den Raum dementsprechend hoch. Angefangen von der neu gestalteten Akustik bis hin zur Geräteausstattung war daher erklärtes Ziel, sich am heutigen Stand der Technik zu orientieren und ein repräsentatives Studio mit optimalen Arbeitsbedingungen zu schaffen – auch im Hinblick auf hier tätige Gastproduzenten.
Um das Projekt gelingen zu lassen, mussten in nur zwei Monaten, der Spielpause des Sommers 2006, der gesamte Studio-Umbau, die Installation der neuen digitalen Audio- und Medientechnik sowie die Einarbeitung der Mitarbeiter bewältigt werden. Für Ende August standen bereits wieder die ersten Konzertmitschnitte auf dem Plan!
Analog denken
Um ein geeignetes Mischpult wählen zu können, gab es intern eine Art Pflichtenheft, das die Bedienoberfläche, die Einbindung in die Studioumgebung der Philharmonie und die im Haus typische Arbeitsweise umfasste. AURUS entsprach schließlich unter anderem deshalb am besten diesem Anforderungsprofil, weil seine Oberfläche sehr von der analogen Arbeitsweise inspiriert ist und den Anwender nicht zum völligen Umdenken zwingt. Der Leiter der Tonabteilung der Berliner Philharmonie, Klaus-Peter Gross, merkt dazu an: »Uns gefällt besonders die hohe Zahl berührungsempfindlicher Bedienelemente in den Kanalzügen, die viele Einstellungen direkt im Kanal erlauben. AURUS hat damit die Bedienkonzepte aufgegriffen, die sich in vielen Jahren der analogen Arbeitsweise entwickelt und bewährt haben.«
Ein weiteres Entscheidungskriterium war die flexible Integration des NEXUS in das existierende Kabelnetz. Ebenso bedeutsam war die Möglichkeit, deutlich komfortabler als bisher in Surround produzieren zu können; ein Feld, auf dem sich die Berliner Philharmoniker bereits seit langem mit verschiedenen SACD-Veröffentlichungen engagieren. Die komfortablen Snapshot-Funktionen im AURUS erweisen sich eben falls als äußerst hilfreich, denn in der Philharmonie werden oft mehrere Produktionen zeitlich versetzt gefahren. Während ein Team die laufende Konzertreihe betreut, arbeitet ein anderes an den Vorbereitungen für die nächste.
Schritt für Schritt
Bei der technischen Umsetzung entschied man sich für einen stufenweisen Übergang von analog zu digital, bei dem das recht komplexe analoge Audionetzwerk des Hauses zunächst erhalten bleibt. Bewährte Workflow-Konzepte sollten auf der digitalen Ebene beibehalten und die vorhandene technische Infrastruktur weiter genutzt werden können.
Dies ist auch im Hinblick auf die häufigen Gastproduktionen in diesem Studio von Bedeutung. Aus diesem Grund wurde ein autarker digitaler Studiokomplex geschaffen, der ein großes, bereits vorhandenes Lemo-Steckfeld als Schnittstelle zum komplexen analogen Leitungsnetz des Hauses nutzt. Hier liegen die mehr als 50 Mikrofonwinden des großen Saals auf, aber auch Ausspielwege sowie Leitungen zu den übrigen Studios, ins Foyer und zum benachbarten Kammermusiksaal.
Perfekt integriert
Die einzelnen Komponenten der digitalen Installation sind den speziellen Kundenanforderungen entsprechend auf zwei Stockwerke verteilt. Das mit 56 Fadern üppig bestückte AURUS in Studio 3 kommuniziert via Glasfaser mit dem NEXUS STAR. Dieser STAR-Router beherbergt einerseits die AURUS-Karten und stellt gleichzeitig den Sternpunkt des digitalen Audionetzes dar. Hier befindet sich auch ein NEXUS-Basisgerät mit 48 Mikrofoneingängen auf sechs XMIC+-Steckkarten, deren Eingänge vom Lemo-Steckfeld aus gespeist werden.
Zwei weitere Basisgeräte stehen unmittelbar im Studio 3, eines zur Anbindung der existierenden Peripheriegeräte und ein weiteres für die sechs Backup-Mehrspurrecorder. Primäres Aufzeichnungsmedium ist ein Sequoia-System, das via MADI unmittelbar mit dem NEXUS STAR verbunden ist, ebenso wie eine weitere DAW gleichen Typs im Studio1, die unter anderem für die Nachbearbeitung von Aufnahmen genutzt wird. Zwei weitere MADI-Ports stehen im STAR-Router zur Verfügung, beispielsweise für Rundfunkanstalten, die ihre Aufzeichnungssysteme dort unmittelbar anschließen können.
Zwei hochauflösende Großdisplays oberhalb der Konsole stehen für unterschiedlichste Aufgaben bereit, beispielsweise zur gleichzeitigen Darstellung aller 48 Recording-Busse mit Hilfe des neuen Multichannel-Meterings im NEXUS. So wird auf einen Blick ersichtlich, was tatsächlich aufgezeichnet wird. Weitere Nutzungsmöglichkeiten sind die größere Darstellung der Sequoia-Oberfläche sowie verschiedene Videoquellen aus dem Saal, die über eine ins Pult integrierte Mediensteuerung auf der Basis von AURUS-Logikfunktionen umgeschaltet werden.
Jeder darf pegeln
Die Philharmonie benötigte einen unabhängig vom Pult arbeitenden Mikrofon-Split, damit beispielsweise die Benutzer eines anderen Studios mit den Saalleitungen und Mikrofonverstärkern unabhängig vom Studio 3 arbeiten können. Man hätte diese Aufgabe natürlich mit einem autarken Mikrofonsplitter lösen können, hat aber statt dessen die elegante und deutlich kostengünstigere Splitfunktion der neuen Mikrofonkarte XMIC+ eingesetzt. Diese verfügt serienmäßig über vier frei pegelbare Digitalausgänge pro Eingang. Einer der Ausgänge ist jeweils für die Nutzung am AURUS reserviert. Ein zweiter Ausgang kann individuell eingesetzt werden, zum Beispiel für Beschallungen, in einem der anderen Studios oder zur Weiterleitung der Mikrofonsignale an einen angeschlossenen Ü-Wagen.
Im Zusammenhang mit dieser Thematik ergab sich allerdings noch eine weitere Aufgabenstellung: Während ein Splitausgang die Möglichkeit verschiedener Pegeleinstellungen für die unterschiedlichen Ausgänge bieten kann, ist eine solche Varianz bei der Aufschaltung einer Phantomspeisung nicht möglich. Entweder die Speisung liegt an, oder eben nicht.
Am AURUS hat man die Möglichkeit, individuell Einfluss auf den Status der Phantomspeisung zu nehmen, indem man die Mikrofonkarten über AURUS fernbedient. Doch was passiert, wenn man am AURUS die Phantomspeisung eines Mikrofonkanals ausstellt und dann das Mischpult abschaltet? Ein externer Nutzer, der einfach nur die Leitungen des Hauses übernimmt, hätte nun keine Möglichkeit, die Speisung wieder einzustellen.
Einen eleganten Lösungsweg zeigte eine neue Funktion in der NEXUS-XCI-Karte auf: Die neXus-Communication-Interface-Karte XCI ist seit neuem mit einer SD-Speicherkarte ausgestattet, auf der man zum Beispiel verschiedene, vorher vom Anwender definierte NEXUS-Statusinformationen ablegen kann. Der so gespeicherte Status lässt sich nicht ohne weiteres überschreiben, ist also wirklich gegen Fehlbedienung im stressigen Alltag gesichert.
Automatisch Phantom-Ein
In der Installation der Berliner Philharmonie sind zwei Statuszustände definiert: für die Situation mit AURUS als Mischpult (Eigenproduktion) im Studio 3 und für den Einsatz mit externem Pult (Fremdproduktion) in einem der anderen Studios. Schaltet man AURUS aus, so wird automatisch der Status für Fremdproduktionen geladen, bei dem die Phantomspeisungen der NEXUS-Mikrofonkarten alle eingeschaltet sind.
Sobald AURUS hochfährt, veranlasst die XCI-Karte eine Umschaltung auf den Status für Eigenproduktionen mit dem im Projekt gespeicherten Phantomspeisungsstatus. Grundsätzlich war eine solche Funktionalität auch mit der XCI-Vorläuferkarte möglich, wozu allerdings ein externer Steuerrechner vonnöten war. Die neue Lösung bringt viele Vorteile mit sich, denn im Gegensatz zu einem externen Rechner ist die Speicherkarte in der XCI auch in die NEXUS-eigene Fehlerüberprüfung eingebunden und bietet damit eine höhere Betriebssicherheit. Außerdem kann sie nicht aus Versehen ausgeschaltet werden – eines der Hauptprobleme bei der Lösung mit externem PC.
Groß und breit
In Kombination mit einem analogen Leitungsnetz präsentiert sich die Installation in der Berliner Philharmonie als eher untypisch. Viele gute Gründe sprachen jedoch für diese Übergangslösung und NEXUS und AURUS erlaubten eine optimale Integration in das gewachsene Milieu.
Noch ein Merkmal dieser Installation fällt aus dem Rahmen. Man sieht es sofort, wenn man die Tonregie betritt: es ist die Größe des AURUS‚ nicht nur im Hinblick auf seine Bearbeitungsmöglichkeiten, sondern auch rein physikalisch. Sieben Faderkassetten mit je acht Faderzügen auf einer Breite von 2,73 m – das ist das größte AURUS, das mit zwei Füßen in einer Standardausführung erhältlich ist. Auch hier spielt die Philharmonie Berlin also standesgemäß in der obersten Liga mit!
Neues Saalkonzept
Die Berliner Philharmonie wurde zwischen 1960 und 1963 vom deutschen Architekten Hans Scharoun erbaut, der als einer der bedeutendsten Vertreter der organischen Architektur gilt. Anfangs war der Saal nicht unumstritten, weil er im Gegensatz zu vielen Häusern jener Zeit weitgehend auf schmückendes Beiwerk verzichtete. Dafür bietet er harmonische Linien und Schwünge, die förmlich Musikalität ausstrahlen– und ein ebenso neues wie gelungenes Konzept für den Konzertsaal. Scharouns Idee bestand nämlich darin, Publikum und Orchester nicht frontal einander gegenüberzustellen, sondern die Ränge mit den insgesamt 2.300 Sitzplätzen terrassenförmig und unregelmäßig um das zentrale Podium herum anzuordnen. Inspiriert von einem Kreis, den Menschen intuitiv bilden, wenn sie einem Musiker im Freien zuhören, hat der Zuschauer neben dem Bühnengeschehen immer auch andere Zuschauer im Blickfeld.
Akustisch hat die Berliner Philharmonie ebenfalls viel zu bieten, was nicht nur Musiker, Dirigenten und Zuhörer, sondern auch die dort arbeitenden Tonmeister bis heute sehr zu schätzen wissen. Klaus-Peter Gross, Leiter der Tonabteilung: »Wenn wir es mit einem ausgeglichenen Klangkörper zu tun haben, dann gelingen in diesem Saal schon mit zwei richtig positionierten Kugeln fantastische Aufnahmen, die nur noch marginal gestützt werden müssen.«